Adoptionsdepression

Vorweg möchte ich sagen, dass die Adoption von Amy eines der schönsten Dinge ist, die ich bisher in meinem Leben erfahren durfte. Und wenn wir vorher dachten, dass wir komplett sind, dann war das eine Illusion: Amy hat unsere Familie vervollständigt. Mit diesem Erfahrungsbericht möchte ich aber auch aufzeigen, dass die Adoption einer Fellnase mehr ist, als nur eine „gute Tat zu vollbringen“. Ich habe die Adoption von Amy völlig unterschätzt und habe damit fast dafür gesorgt, dass Amy, meine Beziehung und auch ich daran zerbrechen.

Titelbild Amy

Du warst nicht geplant.

Unzufrieden im Beruf wollte ich etwas Sinnvolles in meinem Leben machen. Die Pandemie als Damoklesschwert über mir, hat mir den Mut für einen Jobwechsel genommen. Als ich die Chance von „Schützt das Leben e.V.“ bekam sie in der Vermittlung von Fellnasen unterstützen zu dürfen, habe ich mich so sehr gefreut. By the way: Ich war felsenfest davon überzeugt, dass wir nie einen zweiten Hund zu uns holen, geschweige denn, dass ich mich in einen Hund verlieben werde. Ganz schnell wurde ich aber eines Besseren belehrt! Denn dann als ich das Profil von Amy auf dem Instagramprofil vom Verein veröffentlichen sollte. Das war im April 2020 und gerade mal einen Monat später. Ich drückte den Button „Posten“ und im selben Moment hatte ich Traurigkeit verspürt. Ich wünschte mir insgeheim, dass sie keine Anfrage bekommt. Aber wieso wünschte ich mir so etwas? Was löste dieser Hund in mir aus? Ich wollte diesem Gefühl nicht mehr Raum geben. Ein zweiter Hund war nicht möglich. Wir lebten in einer kleinen 60qm Wohnung und meine Regelung für Homeoffice war auch nicht auf Dauer möglich. Das wäre alles sehr unvernünftig gewesen. 

So habe ich den Gedanken und die nicht zu definierenden Gefühle für Amy verworfen. Aber wie sollte es denn anders sein? Amy bekam eine Anfrage. Mir hat es die Luft abgeschnürt: „Das ist doch mein Hund!“. Ich konnte es nicht mehr leugnen. Deshalb habe ich beschlossen mit Nina über meine Gedanken zu sprechen. Zusammen haben wir entschieden, dass wir Amy adoptieren möchten. Zumal wir die Aussicht hatten in einem Jahr in ein kleines Häuschen mit Garten ziehen zu können. Die Vorständin von „Schützt das Leben e.V.“ hat der Adoption zugestimmt und dann hieß es 3 Monate warten.

Amy Shelter 3

Da warst du. Und anders als vorgestellt.

Am 17.07.2020 war es dann endlich so weit: Amy kam bei uns in Deutschland an. Als wäre es erst gestern gewesen, erinnere ich mich noch wie wir super aufgeregt in Würzburg am Rasthof standen. Wir haben darauf gewartet, dass der Transporter von „Road Trip to happiness“ um die Ecke biegt. Und auf einmal ging alles ganz schnell. Das Auto fuhr auf den Parkplatz, die Schiebetüre öffnete sich und Amy wurde in unser Auto gesetzt. 

Sehr viel kleiner und schlanker als wir auf den bisherigen Bildern von ihr wahrgenommen haben. Im Auto hat ihr ganzer Körper wie Espenlaub gezittert und die Panik war in ihr kleines Gesicht geschrieben. Mit Tränen in den Augen habe ich dem kleinen Fellknäul vor mir versprochen, dass sie ab sofort ein wunderschön glückliches Leben bei uns haben wird. Ihr wird es an nichts fehlen und ich wollte alles dafür tun.

Amy war in ihrem Profil als scheu, aber dennoch menschenbezogen beschrieben. Die kurzen Videos, die wir vor ihrer Ankunft bekamen, haben dies auf den ersten Eindruck auch vermittelt. Schwanzwedelnd ging sie vorsichtig auf die Helferin zu. Heute ist mir aber bewusst, dass diese kurzen Videos keine klaren Aussagen über den Charakter eines Hundes vermitteln können. Amy ist mit 4 Wochen mit ihren Geschwistern aus der Tötung gerettet worden. Von da an lebte sie im rumänischen Shelter – in ihrer sicheren Zone. Alles was dort tagtäglich passierte, alle Abläufe, alle Menschen, das war ihr bekannt. 

Bei uns war für sie nun alles anders und unbekannt. Viele neue Eindrücke, neue Außenreize, neue Abläufe. Sie hatte Angst vor allem und jedem und schreckte immer wieder zurück. Es war kaum ein normaler Tagesablauf möglich. Den wir aber brauchten, da es ja auch noch Frida gab. Natürlich war uns bewusst, dass Amy Zeit brauchen wird. Die wollten wir ihr auch geben. Das es letztlich fast 1 Jahr brauchen wird, hätten wir nicht gedacht!

Amy Ankunft 3
Amy Ankunft 4

Adoptionsdepression

War die Entscheidung falsch? Was habe ich nur getan? War ich egoistisch? Kann ich überhaupt eine gute Hundemama sein? 

Wenn ich Amy angesehen habe, kamen mir immer wieder solche Fragen in den Kopf und ich habe mir sehr viele Vorwürfe gemacht. Ich habe diesen Hund aus seiner sicheren Zone entzogen und sie damit vielleicht unglücklich gemacht. Und dann war da noch etwas, womit ich nie gerechnet hätte: Ich konnte für Amy keine Gefühle aufbauen. Ich spürte, dass sie es bei einer anderen Familie viel besser haben könnte und wir einfach nicht die richtigen Menschen für sie sind.

Adoptionsdepression Amy

Ein Erlebnis hatte dieses Gefühl verstärkt. Gerade einmal 3 Wochen nach ihrer Ankunft habe ich bei einer Gassirunde ihre Leine verloren. In Windeseile hat sie die Flucht ergriffen. Wie oft habe ich Adoptanten die Doppelsicherung erklärt und dann passierte ausgerechnet mir dieser fatale Fehler?! Voller Panik und Vorwürfen haben wir sie im Wald gesucht. Immer mit den Gedanken im Kopf, dass sie nie zu uns hätte kommen dürfen und diese Situation damit hätte verhindert werden können. Nach 5 Stunden in totaler Angst kam sie endlich aus ihrem Versteck. Die Tränen flossen und die Erleichterung hat mich wortwörtlich zu Boden gezogen. Tief im Inneren habe ich beschlossen, dass ich sie abgeben muss, damit sie das Leben führen konnte, das sie verdient hatte.

Ich teilte mit Nina meinen Entschluss und sie war mehr als schockiert. Anders als es bei mir, hatte sie für Amy schon sehr viele Gefühle aufgebaut. Für sie war Amy schon ein vollständiges Familienmitglied. Würde ich Amy abgeben, dann wäre das ein Zug, den sie mir nie hätte verzeihen können. Zuerst habe ich mich alleine gelassen und nicht verstanden gefühlt. Aber Nina hatte Recht. Ich hatte Amy und mir nie wirklich die Chance gegeben uns kennenzulernen und sich gegenseitig verstehen zu können. Ich habe mir immer vorgestellt, wie mein Hund sein muss – kuschlig und lieb. Aber anders sein kann doch auch anders gut sein. Und so habe ich begonnen mich für Amy zu öffnen.

2 Jahre Amy

Zurückblickend haben mich die letzten 2 Jahre so viel über mich lernen lassen. Ich habe jeden Meilenstein mit Amy gefeiert. Nach 6 Wochen konnten wir sie ein wenig streicheln. Nach 3 Monaten hat sie auf dem Sofa ihren Kopf in meine Hand gelegt. Nach 7 Monaten hat sie die Wohnung angefangen zu erkunden. Davor ist sie nur vom Körbchen zur Tür und wieder zurück.

Angekommen Amy 4

Aber die größte Veränderung kam nach 11 Monaten. Als wir nach fast einem Jahr nach ihrer Ankunft in unser Häuschen gezogen sind. Von Tag 1 war sie ein anderer Hund. Ihre Blockade hatte sich gelöst und sie hat begonnen sich im Haus zu bewegen. Den Garten hat sie sofort für sich erobert. Sie war endlich frei!

Die stärkste Erkenntnis für mich war aber, dass sie ein enorm sensibles Gespür hat. Amy spiegelt mich, meine Ängste und meine Anspannung wider. In unserem vorherigen Zuhause habe ich mich selbst beengt und angespannt gefühlt. In unserem neuen Heim war auch ich frei. So wie sie es jetzt auch endlich sein konnte. Ab da an habe ich vollständig meine Anforderungen, Wünsche, Blockaden und den Druck aufgelöst. Das hat unsere Beziehung revolutioniert. Heute haben Amy und ich ein Band, das keiner zerschneiden kann.

Amy Angekommen 2
Angekommen Amy 3

Mein Appell an die Adoptanten: Lasst eure Fellnasen nicht im Stich!

Besonders zu Beginn der Pandemie haben viele das Homeoffice genutzt und einen Hund adoptiert. Erziehung mit Hilfe eines Hundetrainers oder einer Hundeschule war nur bedingt möglich. Jetzt kommen langsam wieder die Vorteile des Lebens aus der Zeit vor der Pandemie zurück: Urlaub, Shoppen, Essen gehen. Ein nicht trainierter Hund ist hier hinderlich.

Resultat: Die Rückgaben der Fellnasen an die 
Vereine steigen aus purem Egoismus und Faulheit. Die Vierbeiner werden aus ihrer heilen Welt entrissen und das nur, weil die Menschen nicht erkennen, dass sie der Auslöser und auch der Löser der Situation sein können. Tiere sind gesetzlich zwar immer noch eine Sache (What the hell!), aber nein es sind Lebewesen mit Gefühlen, Schmerz, Angst und Liebe, die ein glückliches Familienleben mehr als verdient haben. Lasst die Fellnasen nicht brechen und kämpft für euer Band. Es gibt nichts Schöneres!

Amy Angekommen 1

                                                                                                                                                                                                                                      @ Julia        

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